07. Mai 2021
Malen, Kochen, Basteln: Die Bewohner des Obdach Leo entdecken vergessene Talente neu, um sich von der Pandemie abzulenken. Das Team ist stolz auf ihren Umgang mit der Situation.
„Heute greife ich viel häufiger zum Pinsel als zur Flasche“, erklärt Herr M. und zeigt auf die Mischung an Werken, die sein kleines, aber feines Zimmer im Obdach Leo beherbergt: Bunte Leinwände, schnelle Skizzen, bemalte Kartons, die er zu Regalen zusammengeklebt hat und in denen Pinsel, Papier und Farben sortiert sind. Alles hat einen Platz. Das war nicht immer so, denn Herr M. hat einen großen Teil seines Lebens auf der Straße verbracht. Da ging es täglich ums Überleben. „Man hatte keine Zeit zum Malen. Und selbst wenn, hätte man das Bild auch nirgends aufhängen können“, erklärt Herr M.
Die Kunst und das Leben
Der heute 54-Jährige hatte keine behütete Kindheit. Doch es gab auch schöne Momente, etwa im Kunstunterricht. Einige Zeit lang wollte er sogar „etwas in Richtung Kunst machen.“ Dann wählte er etwas bodenständiges: eine Lehre als Maler- und Stuckateur. Herr M. hatte einen Beruf und eine Freundin. Doch dann kamen Probleme in der Arbeit, Beziehungsprobleme und nach und nach auch immer mehr Alkohol. Herr. M verlor seine Arbeit. Die Beziehung ging zu Bruch. Zuletzt verlor er auch die Wohnung und landete auf der Straße.
Sicherer Hafen Obdach Leo
Die Wende kam 2006. Da gehörte er zu den ersten Bewohnern, die ins Obdach Leo einzogen. Er ist einer von aktuell 48 Männern, die hier nach einer langen Zeit auf der Straße ein Zuhause gefunden haben. Wie die meisten von ihnen hat Herr M. eine Weile gebraucht, bis er angekommen war. Und das ist er nun. Obwohl er eher ein Einzelgänger ist, hat er sich sein kleines Reich geschaffen, in dem er sich zurechtfindet – mithilfe der BetreuerInnen und seiner Kunst. Auch in schwierigen Zeiten, wie jetzt der Pandemie.

Im Obdach Leo hat Herr M. Platz, um seine kleinen und größeren Bilder aufzuhängen.
Strikte Sicherheitsmaßnahmen
„Die Männer haben mit den Konsequenzen von Corona zu kämpfen“, so die Teamleiterin des Obdach Leo, Karin Graf. Weil sie von der Zeit auf der Straße gesundheitlich stark angeschlagen sind, sind Sicherheitsmaßnahmen besonders wichtig. Das geht aber natürlich auf Kosten der Atmosphäre im familiären Haus, denn derzeit gibt es keine Feiern, keine Spieleabende und keine Ausflüge. Das Team schaut natürlich weiter auf die Bewohner: Nach wie vor sind die BetreuerInnen 24 Stunden lang für die Männer da. Jeden Morgen wird jeder einzelne besucht. Aber der sonst sehr enge, spontane Kontakt fehlt einfach.
Stolz auf Talente
„Ich bin stolz darauf, dass die Männer Möglichkeiten finden, mit der Situation umzugehen“, so Karin Graf. Eine Gruppe aus drei Herren wechselt sich etwa regelmäßig beim Kochen ab. Ein Herr hat angefangen zu stricken – entgegen allen Vorurteilen, die in einer reinen Männer-WG dazu geäußert werden könnten. Und Herr M. malt. Dabei wird er vom Team mit Materialien und Ideen unterstützt. Auch mit Anerkennung wird nicht gespart. Karin Graf ist sich sicher: „Irgendwann werden wir dann wieder alle zusammensitzen und basteln, feiern oder auch einen Ausflug unternehmen. Darauf freuen wir uns alle!“
Über das Obdach Leo
Das Obdach Leo ist ein sogenanntes Dauerwohnhaus für ehemals obdachlose Männer, in dem sie längere Zeit oder, falls erforderlich, sogar für immer bleiben können. Ziel ist es, Menschen, die nicht alleine leben können, ein gutes und adäquates Wohnen zu ermöglichen. 24 Stunden am Tag sind MitarbeiterInnen im Haus und für die 48 Männer da. Hauptthemen der sozialen Arbeit sind die gesundheitliche und finanzielle Stabilisierung der Männer. Dafür wird täglich der persönliche Kontakt zwischen dem Team und den Bewohnern gesucht – derzeit unter den gebotenen Schutzmaßnahmen.

„Trotz Corona sind wir immer für unsere Bewohner da. Und stolz darauf, wie sie mit der Situation umgehen“, so Karin Graf.